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Hauptseite Hauptseite "Oldersum im 20. Jahrhundert" Stand: MAI 2012

1900 - 1918 (KAISERZEIT)

Oldersum gehörte am Beginn des 20ten Jahrhunderts als Flecken mit 1.170 Einwohnern (1910) zum Amt Emden in der preußischen Provinz Hannover im Deutschen Kaiserreich, Bürgermeister der politisch selbstständigen Gemeinde war der Auktionator Weiedorus van Scharrel (1896).
Oldersum um 1900
Topographische Karte, um 1900
(Landesvermessungsamt Niedersachsen)
Die Preußische Landesaufnahme von 1897, herausgegeben 1899, zeigt deutlich die Struktur des Ortes Oldersum: westlich des Großen Tiefs die Warft mit der Kirchstraße und der Emder Straße, mit Kirche und Mühle, den am Rande liegenden Bauernhöfen und der südlich liegenden Burg. Man erkennt die 1851 bis 1856 gebaute Bahnstrecke mit Bahnhof, das Siel mit der Muhde, die 1894-97 errichtete Schleuse, die östlich der Warft liegende "Neustadt", diverse Ziegeleien am Tief. Der Ortskundige erkennt zudem Gasthaus, Apotheke, Seilbahn und einiges mehr.
Um die Jahrhundertwende und in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden in der Bahnhofstraße vier städtebaulich prägende Villen, die von "wohlhabenden Einwohnern" errichtet wurden, ebenso Gebäude in der Friedhof- und Herostraße, darunter das "Zollhaus" und eine Privatschule.
Einen genaueren Überblick bietet der Katasterplan von 1874 (zum Vergrößern bitte draufklicken):
Oldersum - Katasterplan 1874
Katasterplan von 1874
(Katsteramt Leer)
Die Oldersumer waren mit sehr großer Mehrheit evangelisch-reformiert, zwei, drei Familien waren katholisch, etwa ebenso viele jüdischen Glaubens.
Die Berufe der Oldersumer zu dieser Zeit waren (Auswahl des Verfassers nach Einwohnerliste, mit Originalschreibweise): Rheder, Schiffscapitain und Steuermann, Ziegeleifabrikant, Kaufmann, Holzhändler, Fuhrmann, Schenkwirth, Müller, Bäcker und Schlachter, Klempner und Schmied, Schustermeister, Maler, Böttcher, Seiler, Stellmacher, Zimmermann und Schneider oder Kleidermacher, zu den ärmeren gehörten sicher die Arbeiter und Tagelöhner, zu den wohlhabenderen die, die sich einfach nur Grundbesitzer nannten. Daneben gab es einen Fußgendarm, einen Sielrichter, einen Königlichen Auktionator, einen Apotheker und einen Arzt, der Lehrer war Johann Ites (ab 1905 Jacobus de Haan, genannt "Haantje"), Pastor Lucas Leendert Wychgram d.J. (ab 1902 Garrelt Leemhuis).
Spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts, nach der 48er-Revolution und aufgrund der Industrialisierung, hatte sich auch in Ostfriesland eine Arbeiter- und Landarbeiterschicht gebildet, die materiellen Probleme der "unteren Schichten" waren enorm, Wohnraum war Mangelware und in schlechtem Zustand. In Emden und in einigen Landgemeinden wie z.B. Moordorf bildeten sich starke sozialdemokratische und kommunistische Zentren. Menschen ohne Haus- oder Grundbesitz bestritten ihren Lebensunterhalt als Tagelöhner auf den zahlreichen Bauernhöfen oder als Arbeiter auf den Werften, in Fabriken oder Handwerksbetrieben in Oldersum oder Umgebung. Arbeit boten auch die vielen Ziegeleien sowie der Emder Hafen, nicht wenige fuhren auf See- oder Binnenschiffen oder waren bei der Bahn. Für völlig mittellose Oldersumer gab es das Armen- oder Gasthaus in der Wollweberstraße.
Die allgemeine Ordnung kannte noch reichlich Unterschiede in der Gesellschaft: wählen durften nur die Männer, nach dem Drei-Klassen-Wahlrecht entschied das Steueraufkommen der jeweiligen "Schicht" über die Anzahl der Sitze im Reichstag. Den größten Einfluß hatten also die "wohlhabenden Schichten", die Fabrikanten und Bauern. Für Arbeiter war der 11-Stunden-Tag sechs mal die Woche die Regel, von gesetzlichem Urlaubsanspruch keine Rede, 1903 wird die Arbeit für Kinder unter 12 Jahren verboten, die Arbeitszeit für Kinder unter 14 Jahren auf 6 Stunden täglich beschränkt. Knechte und Mägde aßen i.d.R. getrennt von der Bauernfamilie an blechbeschlagenen Tischen oder in getrennten Räumen.
Seit der Reichsgründung 1871 wählte das westliche Ostfriesland (1. Hannoverscher Wahlkreis) "traditionell" liberale Kandidaten in den Reichstag, erst ab 1899 konnte sich ein Konservativer durchsetzen. Bei der letzten Reichstagswahl im Kaiserreich 1912 setzte sich im Wahlkreis 1 in der Stichwahl der linksliberale Domänenpächter Fegter mit 62 % gegen seinen konservativen Konkurrenten durch.
Die Oldersumer waren "gute Preußen" (seit 1744 gehörte Ostfriesland mit Unterbrechungen zu Brandenburg-Preußen): 1913 feiert Kaiser Wilhelm II. sein 25jähriges Regierungsjubiläum, auch Oldersum feierte und war festlich geschmückt. Von dieser Feier ist eine Serie von Fotoaufnahmen erhalten (vgl. auch Bildergalerie). Noch in den 1930er Jahren wurde in der Schule das "Brandenburger Lied" gesungen (Märkische Heide, Märkischer Sand von G. Büchsenschütz).
Wenn seit 1871 auch Frieden in Deutschland herrschte, so waren deutsche Soldaten außerhalb Europas im Einsatz, beim "Boxeraufstand" in China und in den Kolonien: Deutschland als Großmacht, wichtige Marinehäfen der Region sind Wilhelmshaven und Emden.
1914 steuerte Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. auf den I. Weltkrieg zu, nach anfänglichem "Hurra-Geschrei" mündete der Anfang August 1914 begonnene Krieg in den Stellungskämpfen an der Westfront.
Mitten im I. Weltkrieg brannte in der Nacht vom 8. auf den 9. Januar 1916 aufgrund eines technischen Defekts die alte Oldersumer Kirche ("Scheftorn", vgl. LOTTMANN, Dat Hus sünner Lücht) ab (dazu Fotos in der Bildergalerie sowie unter Oldersumer Kirchengeschichte).
Am Ende des Krieges und nach Abdankung des Kaisers steht eine lange Liste mit Gefallenen des 1. Weltkrieges, darunter auch drei "jüdische Frontsoldaten" (siehe Seite 4. Gefallene).

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(Einwohnerliste)

1. Einführung
2. 1900 - 1918
3. Einwohnerliste 
4. Gefallene
5. 1918 - 1933
6. 1933 - 1945
7. Verfolgte
8. Kriegsende
9. Exkurs: der Henker vom Emsland
10. Karte zum Kriegsende
 11. Opfer des Krieges
12. nach 1945
13. Bildergalerie
14. Quellen